„Elimu kwa wote!“ („Freie Bildung für alle!“) – mit diesem Slogan wirbt die kenianische Regierung seit langem und propagiert, dass allen Schülerinnen und Schülern des Landes ein kostenfreier Besuch einer Primary School ermöglicht wird. So zukunftsweisend dieses Wahlversprechen auch klingt, die Realität zeichnet ein differenziertes Bild.
Die Anzahl sogenannter „governmental schools“, deren Besuch kostenfrei ist, scheint viel zu gering. Insbesondere in den ländlichen Regionen und in den Slum-Gebieten zeigt sich dieser Mangel deutlich. In den informellen Siedlungen fin- den wir stattdessen vorwiegend „non-formal schools“, welche von Kirchen oder Nichtregierungsorganisationen getragen werden. Da diese Schulen seitens der kenianischen Regierung keinerlei Unterstützung erhalten, sind sie gezwungen, Schulgebühren zu erheben, um ihr Fortbestehen zu sichern. Es offenbart sich also eine große Ungerechtigkeit im kenianischen Bildungssystem: Der finanziell besser gestellte Bevölkerungsteil hat Zugang zu kostenfreien „governmental schools“, während die einkommensschwachen Slumbewohner demgegenüber hohe Schulgebühren für den Besuch von „non-formal schools“ zu tragen haben. So ist es häufig der Fall, dass Schüler nicht mehr am Unterricht teilnehmen können, da ihre Eltern die Schulgebühren nicht aufbringen konnten.
ELIMU KWA WOTE!
Die Bedeutung der Bildung
Einige der gravierenden Probleme des Landes, vornehmlich die Land-Stadt-Migration, der Mangel an good-governance und das Ausmaß der allgegenwärtigen Korruption könnten durch Bildung angegangen und zumindest in Teilen gelindert werden. Die Eindämmung von Korruption und die Implementierung von good governance sollten am ehesten durch einen bottom-up Ansatz erfolgen: Eine Bildung, welche Menschenrechte, Demokratie und Zivilgesellschaft thematisiert und fokussiert, legt die Grundlagen und befähigt die Jugendlichen (Empowerment of the Youth), sich in (lokal-)politische Entscheidungen einzubringen und für die Belange der Gesellschaft zu engagieren (Participation). Im Idealfall entsteht somit eine neue, Politik gestaltende Generation. Basierend auf den in der Schule vermittelten „skills“ können sich die jungen Erwachsenen für eine korruptionsfreie und gerechtere Regierungsführung einsetzen und diese aktiv selbst gestalten. Das Ziel muss also die Schaffung einer starken „civil society“ und effizient und transparent arbeitender „local authorities“ sein, „which are also free to make many of their own policy and executive decisions. The participation of the people in planning an implementation will also become a reality, thus enhancing democracy at the local level” (EFRG 2008, S. 19).
Warum es an qualitativer Bildung mangelt
Die Präsenz verschiedener Determinanten deutet darauf hin, dass dieses Ziel noch in weiter Ferne liegt. Ein Blick in den kenianischen Lehrplan offenbart daher, dass ein „Empowerment of the Youth“, ja eine Erziehung, die zum eigenverantwortlichen, kritisch-reflektiven Denken anleitet, scheinbar nicht gewünscht ist. Aufgrund verstärkten Frontalunterrichts und didaktisch-methodischer Einseitigkeit werden diese wichtigen Kompetenzen folglich nicht gefördert und die Schüler müssen lediglich Faktenwissen auswendig lernen. Inhaltlich kann zudem nicht von einer thematischen Vielfalt gesprochen werden, da beispielsweise die Themen im Geographieunterricht lediglich auf den afrikanischen Kontinent beschränkt sind und Ansätze des globalen und interkulturellen Lernens völlig fehlen. Hat der Schüler nach Absolvierung des achten Schuljahres nicht die Möglichkeit, eine weiterführende Schule zu besuchen, bleibt ihm der Blick auf den außerafrikanischen Raum versagt.
(Un-)überwindbare Hindernisse
Es sind insbesondere finanzielle Engpässe, die den täglichen Schulablauf erschweren. Diese Tatsache spiegelt sich deutlich im baulichen Zustand und den räumlichen Gegebenheiten wider. In den winzigen Klassenräumen, die lediglich durch Wellblech voneinander getrennt sind, sitzen die Schüler dicht zusammengedrängt. Der Lärm aus den Nachbarklassen, das Prasseln des Regens und der penetrante Gestank von Müll und Unrat kommen erschwerend hinzu. Abgelenkt durch all diese Unannehmlichkeiten fällt den Schülern die Konzentration sichtlich schwer. Dennoch gehen sie gerne zur Schule, nicht zuletzt, da die Schule in der Regel der einzige Ort ist, an welchem die Heranwachsenden eine warme Mahlzeit erhalten. Es kommen die äußeren Lebensumstände und die allgegenwärtige Armut hinzu, die dem Schüler eine kontinuierliche Schullaufbahn verwehren. Häufig fehlt es an einem stabilen familiären Umfeld. Nicht selten sind es alleinerziehende Mütter, die für durchschnittlich vier bis sieben Kinder Sorge tragen. Da ihr Einkommen oftmals nicht ausreicht, um die Familie zu versorgen, bleibt ihnen als letzter Ausweg zuweilen nur die Prostitution, wodurch die Kinderzahl wiederum steigt. Die Konfrontation mit diesen schwierigen Gegebenheiten kann dazu führen, dass die Kinder den Respekt, das Vertrauen und die Bindung zu ihrer Mutter verlieren. In diesem Fall kann der Einfluss der Freunde und des sozialen Umfeldes auf den Schüler bedeutender werden, da diese scheinbar die fehlende Aufmerksamkeit der Eltern substituieren. Dadurch steigt auch die Gefahr, dass der Schüler in kriminelle Aktivitäten eingebunden werden kann, die für die Jugendlichen häufig die letzte Möglichkeit sind, das tägliche Überleben zu sichern.
In den Slums von Nairobi besuchen nur rund 50 % der dort lebenden Kinder und Jugendlichen eine Schule. Insgesamt können in Kenia 1,1 Millionen Kinder nicht zur Schule gehen.